"Projekt X-mas" ist bisher meine einzige Kurzgeschichte mit explizit weihnachtlichem Thema. Sie wurde 2010 in der Weihnachtsausgabe der Zeitung Grenzland-Kurier veröffentlicht.

 

Leseprobe aus "Projekt X-mas"

 

Ich bin im November auf die Welt gekommen, und ich glaube, bei meinem allerersten Weihnachtsfest war noch strikter Alltag angesagt. Aber im nächsten Jahr haben meine Eltern dann eine kleine, krüppelige Fichte aus irgendeinem Wäldchen entführt und ein paar Bienenwachskerzen daran befestigt. Nur für den Kleinen, hat meine Mutter erklärt. Und weil das trotzdem relativ erbärmlich aussah, musste mein Vater dann noch Strohsterne basteln, und meine Mutter hat Plätzchen gebacken, die ein Loch in der Mitte hatten, damit sie sie ebenfalls an den Baum hängen konnte. Es gibt ein paar Fotos von diesem Weihnachtsfest, und es sieht aus wie in einem kongolesischen Flüchtlingslager.

 

Mein Vater hatte zwar eine stramm sozialistische Erziehung genossen, aber so ein paar Jahresendflügelfiguren und drei, vier Streifen aufgebügeltes Stanniollametta hätte er vielleicht aus dem elterlichen Keller holen können. Oder den Schwibbogen aus dem Erzgebirge. Bloß dass seine Eltern, kaum dass die Mauer endlich weg war, mit nichts weiter als ihrem Handgepäck nach Norwegen rübergemacht und das Haus einfach sich selbst überlassen hatten. Da war dann bald darauf eine Videothek mit großer Erotikabteilung eingezogen, und deshalb konnte mein Vater keine einzige weihnachtliche Kindheitserinnerung in die neue Zeit hinüberretten.

 

Also blieb es bei schiefen Strohsternen, Dinkelkeksen und ökologisch unbedenklichen Bienenwachskerzen, all die Jahre hindurch. Den Blödsinn mit den Geschenken, wie meine Mutter es nannte, führten wir nie ein. Stattdessen holten sich meine Eltern zu Heiligabend immer irgendwelche Leute nach Hause, die sich durch besondere soziale Abseitigkeit dafür qualifizieren mussten. Einmal waren es drei Nichtsesshafte (meine Eltern bestanden auf dieser Bezeichnung, jeder andere hätte Penner gesagt). Der eine schlief in meinem Kinderbett ein und stand bis zum zweiten Weihnachtstag nicht mehr auf. Vor vier Jahren hatten wir eine minderjährige Trebegängerin zu Gast, die uns beim Essen voller Eifer ihr
Brustwarzenpiercing zeigte. Damals war ich dreizehn und hatte noch Stunden später mit den Auswirkungen zu kämpfen. Im letzten Jahr teilten wir unsere Dinkelplätzchen mit einer achtköpfigen Familie aus Marzahn: sieben Kinder von fünf Vätern (und das auch nur, weil die jüngsten Drillinge waren) mit ihrer alleinerziehenden Mutti. Na ja, „erziehend“ ist wahrscheinlich nicht das richtige Wort.